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resonanzraeume:resonanzraum_25-014

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-==== Zimmer 11 – Das Schweigen zwischen den Fenstern ====+==== Zimmer 14 — Das Gespräch, das beinahe nicht begonnen hätte ====
  
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-Sie wohnen in derselben Stadt, aber nicht in derselben Welt. + 
-Martin lebt am Hang über der Donauseine Eltern haben eine Pension mit Ausblick auf die Hügel von Devín. Jana lebt untenin einem Plattenbau am Rand von PetržalkaSie haben sich lange nicht mehr getroffen, und doch hören sie manchmal dasselbedieselbe Stimme aus dem Radiodenselben Knallwenn ein Fußball gegen eine Garagentür pralltdenselben Windder durch die Straßen pfeift, wenn der Winter kommt+In einer kleinen Stadt in Nordungarnirgendwo zwischen den Hügeln von Zemplénleben Tamás und Laszlo. 
-Martin glaubt, dass sein Land sich schützen mussDass Grenzen stark sein müssenDass „die da oben“ nicht mehr für Leute wie ihn sprechen+ 
-Jana glaubt, dass ihr Land offener sein sollte. Dass niemand alleine weiterkommt. Dass „die da oben“ nicht hören, was unten gesagt wird+Tamás arbeitet als Archivar im Stadtmuseumalte Kartenstaubige BücherGeschichten, die niemand mehr erzählt. 
-Sie kannten einander. Lange her. In der Schule haben sie sich nicht gemochtZuerstJana fand Martin überheblich. Martin fand Jana laut. Ihre Hände rochen nach Kreideder eine sprach schnellder andere schrieb leise Sätze an den Rand seiner Hefte. Dann trennten sich ihre WegeStudienortFreundeskreisdaswas man „Weltbild“ nennt. Was bliebwaren Nachrichten – spärlichimmer vorsichtiger, bis sie ganz verstummten+ 
-Der eine sprach über Heimat, der andere über Würde. Sie glaubten, sie seien nicht gemeint, wenn der andere redeteUnd doch träumen sie manchmal ähnliche Träume: von einem Freund, der verschwand; von einer Straße im Winter, in der niemand zuerst grüßt+Laszlo führt ein kleines Ingenieurbüro — solideerfolgreichwortkarg
-Jetzt sind sie fast erwachsenwohnen noch immer in derselben Stadt, nicht weit voneinander entfernt. Beide wissen es. Beide tunals wüssten sie es nicht+ 
-Heute denkt einer von ihnen: Vielleicht wäre es möglich gewesenWenn man nicht so schnell geantwortet hätteWenn man länger geschwiegen hätteaber nicht so bitter+Ihre Wege kreuzen sich selten. 
-Der andere denkt an ein Gewicht, das er trägt – nicht aus Stolz, sondern aus GewohnheitUnd dass es leichter würde, wenn der andere einmal sagen würde: „Ich erinnere mich.“ +Doch tragen beide ein ähnliches Unbehagen in sich, für das sie kein Wort haben. 
-Beide fühlen soAber keiner macht den ersten Schritt+ 
-Und draußen, irgendwo zwischen den Häusern, löst sich für einen Moment etwas aus der Luft, das kein Urteil ist und keine Geste – nur eine kleine Bewegungin der etwas möglich sein könnte.+Es ist nicht nur Politik
 +Nicht nur die lauten Stimmen aus dem Radio
 +Es ist das ständige Auf-der-Hut-Sein. 
 + 
 +Wie leicht trifft ein Satz heute einen falschen Ton. 
 +Wie viel von demwas man denktdarf man sagen? 
 + 
 +An einem Samstagnachmittag treffen sie sich zufällig in einer Kunstausstellung. 
 + 
 +Auf einem Bildschirm läuft ein Wandelbild: 
 +Ölfarbendie sich übereinander legenfließende ÜbergängeFarbendie hintereinander gleiten — ohne festen Anfangohne klares Ende
 + 
 +Sie stehen nebeneinanderSchweigend
 + 
 +Dann sagt Tamásmehr in den Raum als zu Laszlo: 
 +„Es weiß nicht, wo es beginnt – und strahlt doch Ruhe aus. 
 + 
 +Laszlo nickt, nach kurzem Zögern: 
 +Vielleicht ist es das, was uns fehlt.“ 
 + 
 +Sie sprechen weiter. 
 +Über FarbenLinien, Übergänge
 +Über das Stehenbleiben vor dem sich wandelnden Bild
 +Nicht über PolitikNicht über Herkunft. 
 + 
 +Und für einen Moment geschieht etwas
 +Nicht Einigkeit. Nicht Übereinstimmung. 
 +Nur das Gefühl, beieinander bleiben zu können — ohne Urteil
 + 
 +Als sie gehenbleiben ihre Wege getrennt. 
 +Doch sie tragen eine leise Freude mit sich: 
 + 
 +Man kann sich begegnen. Immer noch.