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text:tirana_23 [2023/09/26 17:47]
admin [Die Freiheit der Medien in Albanien]
text:tirana_23 [2023/10/01 20:07] (aktuell)
admin [Gibt es den „Westen" in Albanien?]
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 //17. September, im Flugzeug// //17. September, im Flugzeug//
  
-Auf dem Weg nach Tirana versuche ich, meine Fragen an diese Reise in mir selbst zu erlauschen. Albanien ist ein kleines Land, das nicht zur EU gehört, aber seit 2014 Beitrittskandidat ist. Am 19. Juli 2022 2022 haben die Beitrittsverhandlungen begonnen. +Auf dem Weg nach Tirana versuche ich, meine Fragen an diese Reise in mir selbst zu erlauschen. Albanien ist ein kleines Land, das nicht zur EU gehört, aber seit 2014 Beitrittskandidat ist. Am 19. Juli 2022 haben die Beitrittsverhandlungen begonnen. 
  
-1991 brach in Albanien eine kommunistische Diktatur zusammen, die 45 Jahre angehalten hatte und zu den extremsten in Europa gehörte, das Regime von Enver Hoxha. 1991 wurde ein traumatisiertes, verarmtes und isoliert-rückständiges Land in eine demokratische Zukunft entlassen. Die Hoxha Zeit war, so denke ich, eine komplette Antithese zu dem, was für mich das Ideal „des Westens“ ausmacht. Ich frage mich, ob ich dieses Ideal hier zu meinem Motiv machen könnteZu dem, was ich suche, als Realität oder als Sehnsucht - oder vielleicht auchwas ich nicht finden kann und was in seinem Fehlen deutlich wirdWas ist das Versprechen des „Westens“? Kann es Fuß fassen in einer Gesellschaft, die 1991 fast ausschließlich aus Tätern und Opfern eines brutalen autoritären Systems bestand? Wie vollzog oder vollzieht sich der Wandel von dort hin zur subsidiaren Gesellschaft? Besteht überhaupt die Aussicht dazu? Wie sieht man von Albanien aus den realen, träge-selbstgefälligen Westen? Gibt es hier auch diese bittere Ernüchterung, der ich im Osten des Westens immer wieder begegne? Beginnt man vielleichtdie Alternative zum Westen im Autoritarismus von China, Russland oder der Türkei als das kleinere Übel zur westlichen Heuchelei zu sehen?+1991 brach in Albanien eine kommunistische Diktatur zusammen, die 45 Jahre angehalten hatte und zu den extremsten in Europa gehörte, das Regime von Enver Hoxha. In diesem Jahr wurde ein traumatisiertes, verarmtes und isoliert-rückständiges Land in eine demokratische Zukunft entlassen. Die Hoxha Zeit war, so denke ich, das Gegenteil dem, was für mich das Ideal „des Westens“ ausmacht. Ich frage mich, ob ich diesen idealisierten „Westen“ hier zu meinem Motiv machen könnteZu dem, was ich suche? Als Realität oder als Sehnsucht, als etwas, das nur in seinem Fehlen deutlich wird
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 +Was ist das Versprechen des „Westens“? Kann es Fuß fassen in einer Gesellschaft, die 1991 fast ausschließlich aus Tätern und Opfern eines skrupellosen autoritären Systems bestand? Wie vollzog oder vollzieht sich der Wandel von dort hin zur Subsidiaritäts-Gesellschaft? Besteht überhaupt die Aussicht dazu? Wie sieht man von Albanien aus den  träge-selbstgefälligen Westen“, wie er sich in der Realität zeigt? Gibt es hier auch diese bittere Ernüchterung, der ich im Osten des Westens immer wieder begegne? Beginnt man  auch hiereine Alternative zum Westen im Autoritarismus von China, Russland oder der Türkei zu sehen? Als das kleinere Übel zur westlichen Heuchelei?
  
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-Am Tisch beim Abendessen gestern entspann sich mir gegenüber ein Gespräch zwischen Mitreisenden. Eine Frau aus Polen, seit 6 Jahren in Deutschland und eine andere aus Frankfurt an der Oder, seit 20 Jahren in Berlin. Die junge Polin erzählte von ihrem Land, das sie verlassen hat. Sie würde gerne verstehen, warum Polen so wurde, so rechts. Wenn sie es verstehen würde, würde sie es vielleicht ändern können. Die beiden Frauen rätseln mit einer Art ratlosen Resignation gemeinsam über dieses Thema. Die Deutsche, aus der geistigen Enge von Frankfurt an der Oder geflohen sobald es gingschlägt vor, dass es an der religiösen Tradition Polens läge. An der Bindung der Menschen an die katholische Kirche. Vielleicht will sie sagen, die Gewöhnung an die Unterwerfung unter eine höhere Instanz und ihre weltlichen Vertretung verbaue den Menschen den Weg zu sich selbst.+Während des gestrigen Abendessens entwickelte sich am Tisch mir gegenüber ein Gespräch zwischen Mitreisenden. Eine Frau aus Polen, seit 6 Jahren in Deutschlandund eine andere aus Frankfurt an der Oder, seit 20 Jahren in Berlin. Die junge Polin sprach über ihr Land, das sie verlassen hatte. Sie würde gerne verstehen, warum Polen so geworden ist, so rechtslastig. Wenn sie es verstehen würde, könnte sie es vielleicht ändern. Die beiden Frauen grübelten gemeinsam mit einer Art ratloser Resignation über dieses Thema. Die deutsche Fraudie so schnell wie möglich aus der geistigen Enge von Frankfurt an der Oder geflohen istvermutet, dass es an der religiösen Tradition Polens liegt. An der Bindung des Volkes an die katholische Kirche. Vielleicht will sie damit sagen, dass die Gewöhnung an die Unterwerfung unter eine höhere Autorität und deren weltliche Vertretung den Weg zu sich selbst versperrt.
  
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-In dem Gespräch der beiden klingt eine Sehnsucht nach dem an, was ich für diese Reise den Westen“ nennen willIn der Erwartung, dass Menschen, wenn sie diesen Westen gezeigt bekämen und die Chance hättendort hin zu gehen, das natürlich sofort und freudig tun würden. Die Polin scheint in einem Zustand zermürbender Fassungslosigkeit darüber zu sein, dass ihre Landsleute sich anders verhalten. Als ob sie sich, in einer unverständlichen masochistischen Anwandlung, eine schwer erkämpfte Freiheit selbst wieder nehmen würden.+Im Gespräch zwischen den beiden ist eine Sehnsucht nach dem, was ich für diese Reise den "Westennennen möchteUnd sie haben die Erwartung, dass Menschen, denen dieser "Westen" greifbar vor Augen stehtsich sofort und freudig dorthin aufmachen würden. 
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 +Die Polin ist fassungslos darüber, dass ihre Landsleute sich anders verhalten. Als ob diese sich selbst eine schwer erkämpfte Freiheit wieder verweigern würden. Wie in einem unverständlichen masochistischen  Anfall.
  
-Ich erkenne „meinen Westen“ in der Sehnsucht der beiden Frauen. Aber ich habe einen Zweifel. Ich finde das Ideal des „Westes“ umfasst auch ein Verständnis für den menschlichen Wunsch nach Ordnug, Sicherheit und Bewahrung der Traditionen. Für mich, so merke ich, gehört zum „Westen“ nicht nur die unbedingte Freiheit von aller Fremdbestimmtheit, sondern auch der Respekt für das, was für Menschen zu ihrer Identität gehört. Oder besser: auch das ist ein Aspekt der westlichen Freiheit.+Ich erkenne „meinen Westen“ in der Sehnsucht der beiden Frauen. Aber ich habe einen Zweifel. Ich finde das Ideal des „Westes“ umfasst auch ein Verständnis für den menschlichen Wunsch nach Ordnug, Sicherheit und Bewahrung der Traditionen. Ich merke, für mich gehört zum „Westen“ nicht nur die unbedingte Freiheit von aller Fremdbestimmtheit, sondern auch der Respekt für das, was für Menschen zu ihrer Identität gehört. Oder besser: auch die Empfindung an etwas gebunden zu sein, ist ein Aspekt der westlichen Freiheit.
  
  
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-Man muss sich das Albanien der Hoxha-Zeit wie ein Nordkorea in Europa vorstellen, so wird der Bürgermeister der Stadt zitiert. Es gab kein Privateigentum, keine Rechte der Einzelnen gegenüber dem Staat. Deswegen gibt es heute kein „Vertrauen in den Staat“, an das man anknüpfen, das man wieder aufbauen könnte. Die Ideale des Westens haben hier keine Tradition, sie werden neu begründet. Eines der großen Probleme Albaniens ist die Auswanderung. Wie kann man sie verhindern, ohne die Menschen zum Bleiben zu zwingen? Teilhabe und Mitgestaltung sind ein Schlüssel, sagen uns die Vertreter einer Jugendorgansation unter dem Dach der UNO. So haben es sich auch UNO und  EU auf die Fahnen geschrieben: „Beteiligung statt Leistungsempfang“. Junge Leute sollen das Gefühl haben, sie können die Gesellschaft verändern und beeinflussen. Sie sollen das Gefühl haben, dass nicht nur alles so bleibt, wie es ist, und man sich ihre Duldsamkeit mit Almosen erkauft.+Man muss sich das Albanien der Hoxha-Zeit wie ein Nordkorea in Europa vorstellen, so wird der Bürgermeister der Stadt zitiert. Es gab kein Privateigentum, keine Rechte der Einzelnen gegenüber dem Staat. Deswegen gibt es heute kein „Vertrauen in den Staat“, an das man anknüpfen, das man wieder aufbauen könnte. Die Ideale des Westens haben hier keine Tradition, sie werden neu begründet. Eines der großen Probleme Albaniens ist die Auswanderung. Wie kann man sie verhindern, ohne die Menschen zum Bleiben zu zwingen? Teilhabe und Mitgestaltung sind ein Schlüssel, sagen uns die Vertreter einer Jugendorgansation unter dem Dach der UNO. So haben es sich auch UNO und  EU auf die Fahnen geschrieben: „Beteiligung statt Leistungsempfang“. Junge Leute sollen das Gefühl haben, sie können die Gesellschaft verändern und beeinflussen. Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass alles so bleibt, wie es ist, und man sich ihre Duldsamkeit mit Almosen erkauft.
  
 In der Demokratie dauert alles lange und Albanien hat keine Zeit. Dem Kapitalismus werden kaum Regeln entgegen gestellt, auch die Rechtsprechung und die Gesetzgebung waren käuflich. Diese Zeit ist jetzt vorbei, so hoffen Menschen hier, zu deren Berufung das Hoffen gehört. Die Politiker und andere Gestalter der Zukunft. Im Justizministerium erklären uns die beiden stellvertretenden Justizminister*innen Klaijdi Karameta und Adea Pirdeni ihre Aufgaben an der Front der Korruptionsbekämpfung. Sie gehören zu denen, die vom Studium im Ausland zurück gekehrt sind. Man muss an den Umbruch glauben, bevor er Wirklichkeit werden kann. Die eigene Bevölkerung glaubt vielleicht noch nicht daran, aber trotzdem will man die Europäische Union davon überzeugen, dass Albanien auf dem Weg zu einem europäischen Musterland ist. Die Anforderungen der EU für den Beitrittskandidaten sind scharf, viel härter, als sie es für Bulgarien oder Rumänien waren. Die EU will sich nicht noch einen Problemfall einhandeln. Während Ungarn und Polen im eigenen Land die Gewaltenteilung in Frage stellen, wird sie in Albanien mit tiefgreifenden Justizreformen mühsam aus der Taufe gehoben. Über 50 % der Richter und Staatsanwälte wurden als unwürdig oder ungeeignet suspendiert. Manche davon sind jetzt im Gefängnis. Albanien ist eine riesige Baustelle mit riesigen Visionen, die das Überkommene zermalmen wollen und dürfen. Anders, so meint man, wird es nicht gehen. In der Demokratie dauert alles lange und Albanien hat keine Zeit. Dem Kapitalismus werden kaum Regeln entgegen gestellt, auch die Rechtsprechung und die Gesetzgebung waren käuflich. Diese Zeit ist jetzt vorbei, so hoffen Menschen hier, zu deren Berufung das Hoffen gehört. Die Politiker und andere Gestalter der Zukunft. Im Justizministerium erklären uns die beiden stellvertretenden Justizminister*innen Klaijdi Karameta und Adea Pirdeni ihre Aufgaben an der Front der Korruptionsbekämpfung. Sie gehören zu denen, die vom Studium im Ausland zurück gekehrt sind. Man muss an den Umbruch glauben, bevor er Wirklichkeit werden kann. Die eigene Bevölkerung glaubt vielleicht noch nicht daran, aber trotzdem will man die Europäische Union davon überzeugen, dass Albanien auf dem Weg zu einem europäischen Musterland ist. Die Anforderungen der EU für den Beitrittskandidaten sind scharf, viel härter, als sie es für Bulgarien oder Rumänien waren. Die EU will sich nicht noch einen Problemfall einhandeln. Während Ungarn und Polen im eigenen Land die Gewaltenteilung in Frage stellen, wird sie in Albanien mit tiefgreifenden Justizreformen mühsam aus der Taufe gehoben. Über 50 % der Richter und Staatsanwälte wurden als unwürdig oder ungeeignet suspendiert. Manche davon sind jetzt im Gefängnis. Albanien ist eine riesige Baustelle mit riesigen Visionen, die das Überkommene zermalmen wollen und dürfen. Anders, so meint man, wird es nicht gehen.
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 //22. September, Tirana (Innospace)// //22. September, Tirana (Innospace)//
  
-Am letzten Tag vor der Abreise erfahren wir doch noch von einem sehr gelungenen Projekt aus der Zivilgesellschaft. Olsi Nica von ECO Albania beschreibt uns, wie es gelang den Fluss Vjosa davor zu bewahren, durch 45 Staudämme aus dem längsten frei fließenden Fluß Europas in ein weiteres gezähmtes und artenarmes Gewässer verwandelt zu werden. Die geplanten Staudämme hätten nicht sehr viel Strom produziert. Der Bedarf Albaniens ist ohnehin gering, aber die Ressourcen für erneuerbare Energien reich. In einem Land mit 300 Sonnentage ist die Solarkraft bisher wenig ausgebaut - denn mit großen Bauprojekten lässt sich mehr Geld bewegen und verdienen. Darum ging es bei den zu bauenden Staudämmen eigentlich, nicht um Energie oder sonst einen Nutzen für die Gesellschaft. Aber hier ist es trotzdem in höchsten Maße erstaunlich, dass eine Bürgerbewegung die Staudämme hat verhindern können. Nur weil sie sinnlos und schädlich waren? Denn im Interesse der korrupten Strukturen des Landes waren sie ja sehr wohl. Olsi Nica sagt, er habe kein Patentrezept, liste aber gerne wenigstens die Zutaten für den Erfolg dieser Kampagne auf:+Am letzten Tag vor der Abreise erfahren wir doch noch von einem sehr gelungenen Projekt aus der Zivilgesellschaft. Olsi Nica von ECO Albania beschreibt uns, wie es gelang den Fluss Vjosa davor zu bewahren, durch 45 Staudämme aus dem längsten frei fließenden Fluß Europas in ein weiteres gezähmtes und artenarmes Gewässer verwandelt zu werden. Die geplanten Staudämme hätten nicht sehr viel Strom produziert. Der Bedarf Albaniens ist ohnehin gering, aber die Ressourcen für erneuerbare Energien reich. In einem Land mit 300 Sonnentage ist die Solarkraft bisher wenig ausgebaut - denn mit großen Bauprojekten lässt sich mehr Geld bewegen und verdienen. Darum ging es bei den zu bauenden Staudämmen eigentlich, nicht um Energie oder sonst einen Nutzen für die Gesellschaft. Eine Bürgerbewegung konnte die Staudämme verhindernweil sie sinnlos und schädlich für die Natur und die Gesellschaft waren. Das ist sehr bemerkenswert in Albanien, denn im Interesse der korrupten Strukturen des Landes waren diese Projekte ja sehr wohl. Olsi Nica sagt, er habe kein Patentrezept, liste aber gerne wenigstens die Zutaten für den Erfolg dieser Kampagne auf:
  
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   * Es gab Medienunterstützung durch eine umfassende Pressearbeit.   * Es gab Medienunterstützung durch eine umfassende Pressearbeit.
  
-Inzwischen gibt es nun Anwälte und ein Management, die zusammen das Projekt fortsetzen und den errungenen „Nationalpark des Flusses Vjosa“ zu einer seriösen und greifbaren Wirklichkeit werden lassen+Heute setzen Anwälte und ein Management das Projekt fort. Sie werden den errungenen „Nationalpark des Flusses Vjosa“ zu einer seriösen und greifbaren Wirklichkeit machen
-Nebenbei ist in vielen Kooperationen eine europaweite Vernetzung von Forscher*innen entstanden, die weiterhin Bestand haben wird. Inzwischen setzt sich der albanische Staat an die Spitze derer, die diesen wunderbaren Nationalpark angeblich schon immer gewollt und angestoßen haben. In Wirklichkeit konnten die Regierung und die Industrie von der Zivilgesellschaft zum Umdenken gezwungen werden, und darin liegt ein Moment der Hoffnung für die Menschen in diesem Land. Auch wenn es anscheinend völlig einsam ist, dieses Vorbild.+Nebenbei ist in vielen Kooperationen eine europaweite Vernetzung von Forscher*innen entstanden, die weiterhin Bestand haben wird. Inzwischen setzt sich der albanische Staat an die Spitze derer, die diesen wunderbaren Nationalpark angeblich schon immer gewollt und angestoßen haben. In Wirklichkeit konnten die Regierung und die Industrie von der Zivilgesellschaft zum Umdenken gezwungen werden, und darin liegt ein Moment der Hoffnung für die Menschen in Albanien. Auch wenn es anscheinend völlig einsam ist, dieses Vorbild.
  
  
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 Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGO die sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus. Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGO die sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus.
  
-Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft. +Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien den ihren gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft. 
  
 Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach - aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien.  Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach - aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien. 
  
-Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute noch aber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zu Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte. +Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute nochaber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zum Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte. 
  
 Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur ausserhalb. Wenn überhaupt, denn ausländischen Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten.  Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur ausserhalb. Wenn überhaupt, denn ausländischen Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten. 
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-Es gibt in Tirana sehr viele Cafés, überhaupt ist die Lebensart und Freundlichkeit der Menschen hier so, dass ich mich sofort wohl und eingeladen fühle. Doris und ich haben noch etwas Zeit, bevor wir zum Flughafen müssen, in einem Café machen wir eine Zufallsbekanntschaft.  +Es gibt in Tirana sehr viele Cafés, überhaupt ist die Lebensart und Freundlichkeit der Menschen hier so, dass ich mich sofort wohl und eingeladen fühle. Doris und ich haben noch etwas Zeit, bevor wir zum Flughafen müssen, in einem Café machen wir eine Zufallsbekanntschaft. 
-Die Frau ist und bleibt Zivilgesellschaft, erklärt sie. Seit ihre Kinder klein waren hat die Frau sie zu jeder Demo mitgenommen, auch wenn es nie etwas genutzt hat. Ja, den Erfolg der Vjosa-Kampagne findet sie auch toll, aber in den 30 Jahren seit dem Ende der Diktatur ist viel zu wenig passiert. Albanien sei ein Land, das alles habe! Sie zählt eine lange Liste auf mit Rohstoffen, Sonne, Landschaft, Geschichte, wunderbaren Menschen. Albanien müsste reich und unabhängig sein wie die Schweiz! Aber stattdessen sei nach dem Kommunismus alles zerstört und nichts wieder neu aufgebaut worden. Keine Industrie (die es mal gab), das selbe mit der Landwirtschaft. Es würden nur überall im Land riesige Gebäude gebaut, die kein Mensch brauche. Geldwäsche sei das alles, nichts Konstruktives.+  
 +Die Frau ist und bleibt Zivilgesellschaft, erklärt sie. Seit ihre Kinder klein waren hat die Frau sie zu jeder Demo mitgenommen, auch wenn es nie etwas genutzt hat. Ja, den Erfolg der Vjosa-Kampagne findet sie auch toll, aber in den 30 Jahren seit dem Ende der Diktatur ist viel zu wenig passiert. Albanien sei ein Land, das alles habe! Sie zählt eine lange Liste auf mit Rohstoffen, Sonne, Landschaft, Geschichte, wunderbaren Menschen. Albanien müsste reich und unabhängig sein wie die Schweiz! Aber stattdessen sei nach dem Kommunismus alles zerstört und nichts wieder neu aufgebaut worden. Keine Industrie (die es mal gab), das selbe mit der Landwirtschaft. Es würden nur überall im Land riesige Gebäude gebaut, die kein Mensch brauche. Geldwäsche sei das alles, nichts konstruktives.
  
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 Rückkehrend zu meiner Ausgangsfrage überlege ich, in welchem Verhältnis ich meine Vorstellung des Westens nun zu Albanien sehe: Rückkehrend zu meiner Ausgangsfrage überlege ich, in welchem Verhältnis ich meine Vorstellung des Westens nun zu Albanien sehe:
  
-Es gibt hier ein Verlangen nach der westlichen subsidiaren Gesellschaft, dem Ideal einer Herrschaft von unten - und eine Bereitschaft dafür. Weit um sich gegriffen hat es, die Hoffnung darauf aufzugeben. Weit, aber nicht überall. Ich möchte gemeinsam mit einigen Menschen in Albanien an einen möglichen langfristigen Erfolg der Justizreform glauben. Ich möchte glauben, dass die Rezeptur der Vjosa-Kampagne sich auf andere Projekte der Zivilgesellschaft übertragen lässt. Bei meinem Besuch in Brüssel dieses Jahr glaube ich gesehen zu haben, dass die EU einen Willen und eine Kraft hat, auf die Albanien sich verlassen und an denen es sich ausrichten kann. Auch wenn ich jetzt besser verstehe, wie dieses Vertrauen die menschliche Geduld vor eine überharte Probe stellt. Ich finde, wir, die wir den Westen haben wie einen selbstverständlichen Besitz, sollten uns bewegensollten auf die Menschen im Osten des Westen zugehen und uns für sie interessieren. Wir können ihnen dadurch Hoffnung geben, und wir können vielleicht verhindern, dass es wahr wird, was viele hier glauben: dass wir selbst den Westen schon lange verloren haben und er nur noch eine träge Illusion ist. +Es gibt hier ein Verlangen nach der westlichen Subsidiaritäts-Gesellschaft, dem Ideal einer Herrschaft von unten - und eine Bereitschaft dafür. Weit um sich gegriffen hat es, die Hoffnung darauf aufzugeben. Weit, aber nicht nach überall hin. Ich möchte gemeinsam mit einigen Menschen in Albanien an einen möglichen langfristigen Erfolg der Justizreform glauben. Ich möchte glauben, dass die Rezeptur der Vjosa-Kampagne sich auf andere Projekte der Zivilgesellschaft übertragen lässt. Bei meinem Besuch in Brüssel dieses Jahr glaube ich gesehen zu haben, dass die EU einen Willen und eine Kraft hat. Eine Kraft, auf die Albanien sich verlassen und an der es sich ausrichten kann. Auch wenn ich jetzt besser verstehe, wie dieses Vertrauen die menschliche Geduld vor eine überharte Probe stellt. Ich finde, wir, die wir den Westen haben wie einen selbstverständlichen Besitz, sollten uns bewegen. Wir sollten auf die Menschen im Osten des Westen zugehen und uns für sie interessieren. Wir können ihnen dadurch Hoffnung geben, und wir können vielleicht verhindern, dass es wahr wird, was viele hier glauben: dass wir selbst den Westen schon lange verloren haben und er nur noch eine träge Illusion ist. 
  
 ===== Ein Ausblick: die Vjosa ===== ===== Ein Ausblick: die Vjosa =====
 //25. September, Mainz// //25. September, Mainz//
  
-In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. 70% Prozent sind es sogar bei den Mollusken, den Weichtieren. 150 verschiedene Arten davon in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder Insektenarten entdecktdie man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. +In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. 70% Prozent sogar sind es bei den Mollusken, den Weichtieren. 150 verschiedene Arten davon leben in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder neue Insektenarten entdeckt. Arten die man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. 
  
 Ich möchte die Vjosa durch meinen Malereifilm „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der "Osten des Westens" gemeinsam mit dem "Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat. Ich möchte die Vjosa durch meinen Malereifilm „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der "Osten des Westens" gemeinsam mit dem "Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat.
  
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text/tirana_23.1695743259.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/09/26 17:47 von admin