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text:aserbaidschan-reise_22

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text:aserbaidschan-reise_22 [2023/05/16 08:54]
admin [1: am Vorabend einer Militärparade in Moskau]
text:aserbaidschan-reise_22 [2023/05/16 09:21] (aktuell)
admin [6: Auf der Rückreise]
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-===== 3: Der Osten des Westens=====+===== 3: Der Osten des Westens =====
  
 //**(2022-05-13 Baku)**//\\ //**(2022-05-13 Baku)**//\\
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 Ich hatte nicht erwartet, hier in Baku/Aserbaidschan vieles so ähnlich zu finden wie in Polen oder in den Visegradstaaten. Ich hatte die Vorstellung eines Landes, in dem mir etwas Fremdes begegnet, etwas, das mir hilft, Abstand zu nehmen zu dem Krieg in der Ukraine und den drängenden Fragen innerhalb der EU und Deutschlands. Ich hatte nicht erwartet, hier in Baku/Aserbaidschan vieles so ähnlich zu finden wie in Polen oder in den Visegradstaaten. Ich hatte die Vorstellung eines Landes, in dem mir etwas Fremdes begegnet, etwas, das mir hilft, Abstand zu nehmen zu dem Krieg in der Ukraine und den drängenden Fragen innerhalb der EU und Deutschlands.
  
-Im Gespräch mit Sharif Agajar, einem wunderbaren aserbaidschanischen Schriftsteller fühle ich mich eines besseren belehrt - und auch, wie schon so oft inzwischen in den östlichen Ländern Europas, etwas beschämt. In Sharif begegnet mir einmal mehr diese unbändige Sehnsucht nach der Freiheit, die das Versprechen unserer westlichen Werte ist. Die Vision, dass die persönliche Unabhängigkeit von den Absichten des Staates (und dem Schutz vor diesen) möglich ist. Nach einer unabhängigen und funktionierenden Justiz. Nach einer mündigen, selbstbewussten und wirtschaftlich unabhängigen Zivilgesellschaft.  Sharif meint, das alles in Deutschland verwirklicht zu sehen und hat großen Respekt davor. Ich kann ihm zwar nicht wirklich widersprechen, spüre aber innerlich diese Einschränkung: Wir haben dies alles, nicht absolut, aber in der Relation zu den meisten Ländern der heutigen Welt. Aber wir halten es für zu selbstverständlich. Wir sehen den Wert zu wenig und auch nicht die Verantwortung für uns selbst aus diesen grossen Besitz heraus. +Im Gespräch mit Sharif Agajar, einem wunderbaren aserbaidschanischen Schriftstellerfühle ich mich eines Besseren belehrt - und auch, wie schon so oft inzwischen in den östlichen Ländern Europas, etwas beschämt. In Sharif begegnet mir einmal mehr diese unbändige Sehnsucht nach der Freiheit, die das Versprechen unserer westlichen Werte ist. Die Vision, dass die persönliche Unabhängigkeit von den Absichten des Staates (und dem Schutz vor diesen) möglich ist. Nach einer unabhängigen und funktionierenden Justiz. Nach einer mündigen, selbstbewussten und wirtschaftlich unabhängigen Zivilgesellschaft.  Sharif meint, das alles in Deutschland verwirklicht zu sehen und hat großen Respekt davor. Ich kann ihm zwar nicht wirklich widersprechen, spüre aber innerlich diese Einschränkung: Wir haben dies alles, nicht absolut, aber in der Relation zu den meisten Ländern der heutigen Welt. Aber wir halten es für zu selbstverständlich. Wir sehen den Wert zu wenig und auch nicht die Verantwortung für uns selbst aus diesem großen Besitz heraus. 
  
 Heute leben uns Menschen im Osten des Westen den Wert der Freiheit vor. Die Bereitschaft zum Kampf und zum Opfer. Wie im Falle der von Krieg überzogenen Ukraine, die sich so entschlossen wehrt. Aber auch wie im Falle von Sharif, dem aserbaidschanischen Schriftsteller, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichten der Menschen zu erzählen, deren Schicksale er kennen gelernt und miterlebt hat. Heute leben uns Menschen im Osten des Westen den Wert der Freiheit vor. Die Bereitschaft zum Kampf und zum Opfer. Wie im Falle der von Krieg überzogenen Ukraine, die sich so entschlossen wehrt. Aber auch wie im Falle von Sharif, dem aserbaidschanischen Schriftsteller, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichten der Menschen zu erzählen, deren Schicksale er kennen gelernt und miterlebt hat.
  
-Aserbaidschan, so sagt Sharif Agajar, ist voll mit Menschen, deren Leben von Krieg und Vertreibung auf den Kopf gestellt wurde. In der Literatur Asserbaidschans geht es um Schmerzverarbeitung, nicht um Unterhaltung. Und schmerzlich ist für ihn auch die Sehnsucht nach der Freiheit, lockend wie eine Fatamorgana am Horizont. Eine sprudelnde kühle Quellen in den Illusionen und Träumen der erbarmungslosen Wüste. Eine Hoffnung auf Erneuerung nach einer langen Epoche der Unterdrückung, in der die zugänglichen Informationen streng gefiltert waren. So, wie im Polen der Sowjetzeit, nur viel länger.+Aserbaidschan, so sagt Sharif Agajar, ist voll mit Menschen, deren Leben von Krieg und Vertreibung auf den Kopf gestellt wurde. In der Literatur Aserbaidschans geht es um Schmerzverarbeitung, nicht um Unterhaltung. Und schmerzlich ist für ihn auch die Sehnsucht nach der Freiheit, lockend wie eine Fatamorgana am Horizont. Eine sprudelnde kühle Quelle in den Illusionen und Träumen der erbarmungslosen Wüste. Eine Hoffnung auf Erneuerung nach einer langen Epoche der Unterdrückung, in der die zugänglichen Informationen streng gefiltert waren. So, wie im Polen der Sowjetzeit, nur viel länger.
  
 Sharif Agajar sagt, eine Gesellschaft ist wie ein Körper. Über die Organe des Körpers macht man sich nur Gedanken, wenn sie krank sind. Am besten wäre, man müsste gar nicht darüber nachdenken. Sharif Agajar sagt, eine Gesellschaft ist wie ein Körper. Über die Organe des Körpers macht man sich nur Gedanken, wenn sie krank sind. Am besten wäre, man müsste gar nicht darüber nachdenken.
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 **Personenkult:** **Personenkult:**
-Ilham Aliyevist ist seit 2003 der, zur Zeit sehr beliebte, Präsident der Republik Aserbaidschan. Er ist der Sohn und Nachfolger von Heidar Alijew und durch verschiedene demokratische Verfassungsänderungen vermutlich auf Lebenszeit Regierungschef. Zur Stellvertreterin hat er seine Frau ernannt. +Ilham Alijew ist ist seit 2003 der, zur Zeit sehr beliebte, Präsident der Republik Aserbaidschan. Er ist der Sohn und Nachfolger von Heidar Alijew und durch verschiedene demokratische Verfassungsänderungen vermutlich auf Lebenszeit Regierungschef. Zur Stellvertreterin hat er seine Frau ernannt. 
 Sein verstorbener Vater, Heidar Alijew gilt (so scheint es mir) aber als der wahre „Vater der Nation“. Heidar Alijew war von1969 bis 1982 zum ersten Mal an der Macht, damals als erster Sekretär des Zentralkomites der Aserbaidschanischen Kommunistischen Partei. Dann ging er nach Moskau, kehrte während des Zusammenbruchs der Sowjetunion zurück und war von 1993 bis zu seinem Tod 2003 Präsident. Seine übergroßen Bilder und Statuen sieht man heute überall. Es gibt in jeder Stadt Plätze, manchmal riesige Ensembles von Prachtbauten, die um seine Person herum gruppiert sind und ihm huldigen. Mich persönlich stößt das ab. Auch höre und lese ich von schweren Anschuldigungen, die gegen Heidar Alijew erhoben werden. Aber ich ahne jetzt etwas davon, welche Bedeutung diese Person als Kristallisationskern der heutigen aserbadschanischen Nation gehabt haben könnte - und weiterhin hat? Oder vielleicht ist dieser Kult für den Lebensalltag im heutigen Aserbaidschan heute eher unwichtig, wie eine Tradition, eine Hülse, die mit eigenen Inhalten gefüllt werden kann. Sein verstorbener Vater, Heidar Alijew gilt (so scheint es mir) aber als der wahre „Vater der Nation“. Heidar Alijew war von1969 bis 1982 zum ersten Mal an der Macht, damals als erster Sekretär des Zentralkomites der Aserbaidschanischen Kommunistischen Partei. Dann ging er nach Moskau, kehrte während des Zusammenbruchs der Sowjetunion zurück und war von 1993 bis zu seinem Tod 2003 Präsident. Seine übergroßen Bilder und Statuen sieht man heute überall. Es gibt in jeder Stadt Plätze, manchmal riesige Ensembles von Prachtbauten, die um seine Person herum gruppiert sind und ihm huldigen. Mich persönlich stößt das ab. Auch höre und lese ich von schweren Anschuldigungen, die gegen Heidar Alijew erhoben werden. Aber ich ahne jetzt etwas davon, welche Bedeutung diese Person als Kristallisationskern der heutigen aserbadschanischen Nation gehabt haben könnte - und weiterhin hat? Oder vielleicht ist dieser Kult für den Lebensalltag im heutigen Aserbaidschan heute eher unwichtig, wie eine Tradition, eine Hülse, die mit eigenen Inhalten gefüllt werden kann.
  
 **Europa:** **Europa:**
-Wohin gehört Aserbaidschan? Das ist geografisch umstritten, politisch und gesellschaftlich aber nicht mehr. Aserbaidschan will zum „Westen“ gehören und eine europäische Nation sein. Darin sind sich sogar die Regierung und die liberale Oposition einig. Die neuen nach-sowjetischen, westlichen Regeln haben zwar hier zu Lande Opfer gefordert, aber mein Eindruck ist dass die Menschen hier an sich selbst und an die Freiheitsversprechen der westlichen Lebensweise glauben. Dort sehen sie ihre Zukunft.+Wohin gehört Aserbaidschan? Das ist geografisch umstritten, politisch und gesellschaftlich aber nicht mehr. Aserbaidschan will zum „Westen“ gehören und eine europäische Nation sein. Darin sind sich sogar die Regierung und die liberale Opposition einig. Die neuen nach-sowjetischen, westlichen Regeln haben zwar hier zu Lande Opfer gefordert, aber mein Eindruck istdass die Menschen hier an sich selbst und an die Freiheitsversprechen der westlichen Lebensweise glauben. Dort sehen sie ihre Zukunft.
 Ausserdem ist die Angst vor Russland und dessen Imperialismus groß, wie in den meisten der ehemaligen Sowjetrepubliken. Ausserdem ist die Angst vor Russland und dessen Imperialismus groß, wie in den meisten der ehemaligen Sowjetrepubliken.
  
text/aserbaidschan-reise_22.1684220061.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/05/16 08:54 von admin