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Stimme: Lehrerin aus Narva
„Was haben wir gewonnen, wenn wir eine Generation erziehen, die sich schämt?“
„Ich unterrichte seit 20 Jahren in Narva. Früher war meine Klasse halb estnisch, halb russisch – und das war normal. Die Kinder spielten zusammen, lachten zusammen, stritten sich auf Russisch *und* Estnisch. Aber seit 2022 ist alles anders.
Jetzt muss ich auf Estnisch unterrichten. Nicht weil die Kinder es nicht könnten – viele sprechen beides fließend –, sondern weil das Gesetz es so vorschreibt. *„Integration“*, sagt die Regierung. Aber wissen Sie, was das wirklich bedeutet?
Es bedeutet, dass Oma Ljudmila, die seit 40 Jahren in Narva lebt, plötzlich nicht mehr versteht, was ihr Enkel in der Schule lernt. Dass die Eltern abends nicht mehr helfen können, weil sie selbst kaum Estnisch sprechen. Dass die Kinder plötzlich schlechtere Noten bekommen – nicht weil sie dumm sind, sondern weil sie in einer Sprache lernen müssen, die zu Hause niemand spricht.
Und das Schlimmste? Es funktioniert nicht. Die Kinder lernen nicht *besser* Estnisch – sie lernen gar nichts mehr. Weil sie abschalten, wenn sie nicht verstehen. Weil sie wütend sind. Weil sie spüren: *„Das hier ist nicht für uns gemacht.“*
Manchmal frage ich mich: Was wollen wir eigentlich? - Dass die Kinder perfekt Estnisch sprechen – aber ihre eigene Sprache vergessen? - Dass sie Esten werden – aber ihre Familien verlieren? - Dass sie unsere Geschichte lernen – aber ihre eigene verleugnen?
Ich bin keine Politikerin. Ich bin Lehrerin. Mein Job ist es, Brücken zu bauen. Aber im Moment reißen wir sie ab – und nennen es *„Integration“*.
Die Regierung sagt: *„Russisch ist die Sprache des Feindes.“* Aber meine Schüler sind keine Feinde. Sie sind Kinder. Und sie verstehen nicht, warum ihre Sprache plötzlich *falsch* ist.
Manchmal, wenn ich abends nach Hause gehe, höre ich sie noch: Wie sie auf dem Schulhof leise Russisch reden – weil sie wissen, dass sie es nicht dürfen. Und dann denke ich: Was haben wir gewonnen, wenn wir eine Generation erziehen, die sich schämt?
— Aber ich gebe nicht auf. Jeden Morgen stehe ich wieder vor der Klasse. Und manchmal – nur manchmal – passiert etwas Wunderbares: Ein Kind fragt mich auf Estnisch etwas über Puschkin. Oder ein anderes übersetzt für seine Mutter, was im Elternbrief steht. Dann spüre ich: Es geht nicht um Sprache. Es geht darum, ob wir ihnen das Gefühl geben, dazuzugehören – oder nicht.
Vielleicht ist das der einzige Weg: Nicht zu fragen: *„Sprichst du Estnisch?“* Sondern: *„Was willst du sagen?“*
„Ich will nicht gegen die Politik sein. Aber ich will auch nicht zusehen, wie meine Schüler*innen leiden.“
Hinweis: Die Dialoge sind frei nach realen Konflikten gestaltet – inspiriert von Medienberichten und in Zusammenarbeit mit KI (Euras/LeChat, 2025) zu fiktiven Gesprächen verdichtet.