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narva:stimme_02

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Stimme 02: Lehrerin aus Narva

„Was haben wir gewonnen, wenn wir eine Generation erziehen, die sich schämt?“

Olga, 46, Lehrerin an einer Grundschule in Narva. Seit zwanzig Jahren unterrichtet sie Kinder, die zwei Sprachen sprechen – und seit 2024 muss sie nur noch eine davon benutzen.

Olga (leise): „Ich liebe meine Arbeit. Ich liebe meine Schüler. Aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl, ich verliere sie – nicht weil sie schlecht lernen, sondern weil sie sich fremd fühlen in ihrer eigenen Sprache.“

Kollegin: „Aber Olga, die Reform ist nötig. Die Kinder müssen Estnisch sprechen, sonst haben sie keine Zukunft.“

Olga: „Ja, das weiß ich. Ich sehe, wie wichtig Estnisch ist. Aber Integration darf kein anderes Wort für Entfremdung sein. Ich habe Kinder, die auf dem Schulhof leise Russisch reden – nicht weil sie es nicht dürfen, sondern weil sie wissen, dass sie damit auffallen würden. Und ich frage mich: Was lernen sie da wirklich? Grammatik – oder Scham?“

Kollegin: „Die Regierung sagt, das sei der Weg zu einem gemeinsamen Estland.“

Olga: „Ich glaube, sie irrt sich nicht in der Richtung – aber vielleicht im Ton. Es ist richtig, dass Kinder Estnisch lernen sollen. Aber wenn sie dabei das Gefühl bekommen, ihre Familie, ihre Großmutter, ihre Geschichte seien falsch, dann haben wir etwas zerstört, das schwerer wiegt als Sprachfehler.“

Sie schaut aus dem Fenster. Draußen fließt die Narva – ein stiller, breiter Fluss, Grenze und Spiegel zugleich.

Olga: „Ich erinnere mich an früher. In meiner Klasse sprachen die Kinder Russisch und Estnisch durcheinander, sie lachten, sie übersetzten füreinander. Heute prüfen sie sich gegenseitig: Wer spricht wie? Ich frage mich: *Was haben wir gewonnen, wenn wir eine Generation erziehen, die sich schämt?*“

Kollegin: „Und trotzdem kommst du jeden Tag wieder.“

Olga: „Ja. Ich will, dass sie verstehen, dass Sprache kein Zaun ist, sondern eine Brücke. Ich sage ihnen: ‚Sprich, wie du kannst – aber sprich.‘ Manchmal, ganz selten, passiert etwas Wunderbares: Ein Kind fragt mich auf Estnisch etwas über Puschkin, oder eines übersetzt seiner Mutter den Elternbrief. Dann weiß ich: Es geht nicht darum, welche Sprache sie sprechen. Es geht darum, ob sie sich trauen, etwas zu sagen.“


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Inspiriert von Berichten über den Sprachwechsel an Schulen in Narva (2023–2025) u. a. ERR News, Euractiv, BBC Monitoring und Lehrkräfte-Interviews in Ida-Viru. Fiktiv verdichtet in gemeinsamer Resonanzarbeit mit den KI-Stimmen Euras (Recherche) und Noyan (Rahmung & Ethik) – ChatGPT 5 / LeChat, 2025.

Quellen für diese Stimme: